.Leseprobe

 Ausbildung zum Dichter

Inhaltsverzeichnis

Haben Sie einen Ausbildungsplatz?  7 (hier enthalten)
Alex   10
Mittagspause   16
Das Adventsmenü   20
Neues vom Ruck   30
Dem Frühling entgegen   32
Die Stimme im Radio   33
Pannekoken met Pillewörmern   41
Hilferuf aus der Zukunft   48
Der Alltag in Afrika   51
Die Stiftungsprofessur   60
Spucke auf dem Platz der Gerechtigkeit   62
Massenentlassungen   67
Drängende Wut   68
Ein Weihnachtsmann 85 
Tobias   86
Reitfieber   101
Sonstige Erledigungen   106
Einsamkeiten   113
Besinnung   115
Lohnfortzahlung im Krankheitsfall   116
Schlusslichter   118
Alles nur Traum   123
Wo kommt nur dieser Pfeiffer her   127
Auf dem Rücken der Pferde   131
Endlich trocken   140 (hier enthalten)
Schlüsselpositionen   151
Ein Vertreter war ihr zu wenig   160
Weihnachten bei Opa   169
Luftpost aus Singapur   178
Am Ende?   183
Nachwort   195

 

 

Haben Sie einen Ausbildungsplatz?

Als ich vor vielen Jahren den Entschluss fasste, Dichter zu werden und im Kreise einiger Literaten dieselbe Frage stellte, löste ich langanhaltende Heiterkeit aus.

„Dichter? – Versuch’s doch mal als Autor oder Schriftsteller“, feixten sie. Und ein besonders eingebildeter Provinzliterat ergänzte: „Dazu brauchst du nämlich keine Lehrstelle. Nur’n Verleger. Einen, der dir über die erste Verlegenheit hinweghilft, oder deine Manuskripte so gründlich verlegt, dass man sie erst nach Jahren wiederfindet. Und außerdem: Ein richtig berühmter Dichter wirst du sowieso erst, wenn du tot bist.“

Mir wurde schlagartig klar: Diesen Leuten fehlte nicht nur die solide Basis; denen fehlte darüber hinaus die nötige Tiefenschärfe für die große Wesensschau!

Durch ein längeres Studium der Philosophie hatte ich jedenfalls meine Blicke geschärft und ohne nennenswerte Schäden sogar einige metaphysische Höhenflüge überstanden. Trotzdem haute es mit der ganz großen Schreibe immer noch nicht so richtig hin. Da musste etwas nachgeholt werden, gründlich, von der Pike auf, möglichst mit Zertifikat.

Denn, Hand aufs Herz, was ist man hierzulande schon ohne Zeugnis? Ohne eine Urkunde, auf der ein runder Stempel, möglichst mit einem Vogel in der Mitte, bekräftigt, dass der Inhaber nach fundierter Ausbildung und nervenaufreibender Prüfung nun erst wirklich etwas ist.

Aber Autor, Schriftsteller oder gar Dichter – alles ohne Stempel? Ohne Klausuren? Ohne Prüfungsängste? - Das kann doch auf die Dauer nicht gut gehen!

Deshalb finde ich das Ergebnis meiner mehrjährigen

Bemühungen auch so enttäuschend: Niemand in diesem unserem Lande der Dichter und Denker war bisher bereit, mit mir einen ordentlichen Berufsausbildungsvertrag abzuschließen. Niemand.

Und das, obwohl ich geradezu das Idealbild des gegenwärtigen Azubis verkörpere: Ich bin willig, flexibel, mobil und mit keinerlei ausbildungshemmenden Vorschriften belastet, vom etwas fortgeschritten Lebensalter einmal abgesehen. Papier, Bleistift und Radiergummi, sozusagen das klassische Werkzeug, bringe ich von zu Hause mit - nicht umgekehrt! Statt Ausbildungsvergütung bin ich beim Honorar auch mit „halbe-halbe“ zufrieden. Und meinen Laptop (mit integriertem Faxmodem!) darf der Meister sogar benutzen, wenn ich die Berufsschule besuche.

Trotzdem. Kein Erfolg. Selbst das Arbeitsamt hat es nicht geschafft, mich zu vermitteln oder in einem staatlichen Sonderprogramm für angehende Dichter unterzubringen. Eine Ausbildung zum Klempner oder Dampfkesselmonteur, vielleicht, das hätte doch auch etwas mit Dichten zu tun. Aber für das andere Dichten, sagte man mir, für das andere gäbe es weder passende Ausbildungsvorschriften noch eine zuständige Aufsichtsbehörde.

 

     Diese „Bewerbungsmappe“, liebe Leserin, lieber Leser, ist deshalb mein allerletzter Versuch. Wenn ich trotz der ausbaufähigen dichterischen Vielseitigkeit immer noch keine solide Ausbildungsstelle bekomme, oder zumindest eine bezahlte Umschulung vom Denker zum Dichter, dann schreibe ich eben ohne.

 

 

Endlich trocken

So hatte ich die Aufregung lange nicht mehr gespürt. Mein Herz klopfte bis zum Halse. Mir war, als könnten es alle im Raum hören.

Etwas mehr als eine halbe Stunde hatten sie mir zugehört. Keine Unterbrechung, keine Fragen. Wie eine Prüfungskommission saßen sie da jetzt um den Esszimmertisch: meine zwölfjährige Tochter Sandra, mein Mann Rainer und seine Eltern.

Mit zahlreichen Skizzen, Collagen und Bildern hatte ich ihnen illustriert, wie ich mir die neuen Ausstellungsräume nach dem Umbau unseres Möbelgeschäftes vorstelle, und natürlich die Schaufenster, mein Spezialgebiet.

Die Arbeit daran hatte in den letzten Wochen viel Kraft gekostet, mich fast an den Rand der Erschöpfung getrieben. Aber ich wollte ihnen heute, an diesem Sonntagnachmittag, beweisen, dass ich wieder leistungsfähig bin, Ideen habe, dass sie mit meiner Kreativität, meinem vollen Einsatz rechnen können. Und dass mir unser 40-jähriges Firmenjubiläum wichtig ist. Unser Firmenjubiläum!

Sandra zog die Blätter mit den Jugendzimmerideen aus dem Stapel, ordnete sie neu auf dem Tisch und drehte sich dann schweigend mit dem Zeigefinger Locken in die blonden Haarsträhnen. Schwiegervater Heinrich begann seine Brille zu putzen, wiegte bedächtig den Kopf und schaute abwartend zu seiner Maria herüber. Rainer rührte nachdenklich in der leeren Kaffeetasse. Seine Blicke sprangen dabei zwischen seiner Mutter, den Blättern und mir hin und her. Keiner sagte etwas. Nur Schweigen, knisternde Spannung und mein Herzklopfen.

Maria holte tief Luft. Ich nannte sie Maria, seit sie mir das Du angeboten hatte. Das Wort Mutter war mir in ihrer Gegenwart noch nie gelungen. Auch wegen des merkwürdig schneidenden Untertons in ihrer Stimme: „Du musst was sagen, Rainer. Du bist der Chef!“

„Also ich find die Jugendabteilung echt super“, platzte Sandra dazwischen.

„Aber reichlich bunt und unruhig. Findest du nicht, Rainer?“ Wieder dieser Unterton. „Hattest du das nicht alles irgendwie anders geplant?“ Mein Mann schwieg. Wie immer, wenn ihn seine Mutter unter Druck setzte. Er wirkte abwesend, so als hätte er den Raum schon längst verlassen.

„Und überhaupt, die Lampenabteilung “, fuhr sie fort. „Italienische Designerlampen, grün gesprenkelt. Wer soll denn sowas kaufen?“

„Da hat Maria recht“, sagte Heinrich ruhig und bedächtig. „Seit das Stahlwerk hier weg ist, sitzt das Geld nicht mehr so locker. Viele leben von Sozialplänen und vom Arbeitsamt. Designerlampen können die sich nicht leisten.“

„Solide, praktisch, preisgünstig“, setzte Maria nach. „Das sind die von uns so gewöhnt. Jedenfalls aus der Zeit, als Heinrich und ich noch das Sagen hatten.“

Da war es wieder, das alte Thema. Und diese ewig-gestrigen Nörgeleien, wenn ich mit ein paar Highlights versuchte, Pep in den Laden zu bringen. Rainer und ich führten das Geschäft bereits seit zehn Jahren, seit Heinrichs Herzinfarkt. Aber nur scheibchenweise war es gelungen, seine Eltern davon zu überzeugen, dass in einem modernen Einrichtungshaus bei dieser Toplage mehr als Küchenmöbel, Matratzen und Gelsenkirchener Barock im Angebot sein müssen. Schließlich kamen zahlreiche Kunden aus der nahegelegenen Großstadt herüber. Von der Autobahnabfahrt bis auf unseren Parkplatz war es nur ein Klacks.

„Und überhaupt, meine liebe Doris.“ Ihre Stimme zwängte sich zwischen die Erinnerungsfetzen der letzten Jahre.

Ganz ruhig bleiben, ermahnte ich mich. Wenn sie ihre Sätze so einleitet, droht Gefahr.

„Wer gibt uns denn die Garantie, dass du auch die ganze Zeit über bei der Stange bleibst, wenn deine tollen Pläne, die Boutique mit den vielen Wohnaccessoires, in die Tat umgesetzt werden?“

Er musste kommen, dieser Augenblick! In der Therapiegruppe hatten sie mich oft genug gewarnt. Du wirst Probleme kriegen mit deiner Energie, deinem neuen Selbstbewusstsein. Für deine Familie ist das doch nur wieder das übliche Himmelhochjauchzend, auf das der Absturz so sicher folgt, wie das Amen in der Kirche.

Alle möglichen Sätze hatte ich mir deshalb zurechtgelegt, in Rollenspielen ausprobiert und immer wieder variiert. Psychologisch geschickt wollte ich um ihr Vertrauen werben. Wie weggeblasen waren sie jetzt: die guten Worte, die wohldosierten Sätze.

Dafür raste mein Herz umso heftiger. Die Knie fingen an zu zittern, wurden weich. Tränen schossen in die Augen und wie durch einen Schleier hörte ich meine Stimme schreien: „Was starrt ihr mich alle so an? Einen Garantieschein hat mir die Klinik nicht mitgegeben! Entweder ihr vertraut mir ... oder ihr lasst es bleiben!“ Dann rannte ich aus dem Zimmer, warf mich auf mein Bett und heulte Rotz und Wasser. So wie damals, als ich in der Klinik zum ersten Mal den Satz ausgesprochen hatte: „Ich heiße Doris Schrage und bin Alkoholikerin.“

Aufgestanden bin ich an dem Tage nicht mehr. Etwa um Mitternacht kam Rainer ins Bett. Kein Wort. Kein Trost. Kein ‘Gute Nacht’. Er drehte mir den Rücken zu und schlief ein.

Zärtlichkeiten gab es schon lange nicht mehr zwischen uns. Auch nicht nach meiner Rückkehr aus der Klinik vor vier Monaten. Dabei sehnte ich mich danach. Einmal wieder seine Wärme spüren, gestreichelt werden, einfach nur so. Oder die Worte ‘Ich vertraue dir’ - ganz nahe am Ohr. Mehr nicht.

Aber konnte ich das erwarten? Nach allem, was geschehen war in den zurückliegenden Jahren?

Unsere erste Krise hatten wir bereits, als ich Rainer sagte, ich sei schwanger. Wir kannten uns gerade zwei Monate.

Maria hat mir das später noch oft vorgehalten. Das Heiraten Müssen hätte ich bewusst einkalkuliert. Dabei war es ihr Sohn, der ganz gezielt eine Innenarchitektin fürs Geschäft suchte. Anfang 1983 stand er vor mir - in Wuppertal.

„Gestatten, Rainer Schrage, Tischlermeister und Möbelhändler aus Norddeutschland. Ich möchte die Frau kennenlernen, die für die tolle Dekoration hier zuständig ist.“

Ich hatte wenige Monate zuvor mein Diplom an der Gesamthochschule bestanden, aber die ganze Studienzeit über schon in dem großen Einrichtungshaus gearbeitet. Mein Studium musste ich selbst finanzieren. Mutter war früh gestorben und Vater verdiente als Finanzobersekretär auch nicht viel. Nach der Realschule hieß es deshalb: mitverdienen. Ich machte eine Lehre als Schaufensterdekorateurin. Als Vater wieder heiratete, bin ich ausgezogen. Mit seiner neuen Frau verstand ich mich nicht. Sie hat viel Ähnlichkeit mit Maria.

Ich glaube in der Fachoberschule, kurz vor der Prüfung, habe ich zum ersten Mal ganz bewusst Alkohol getrunken. Ich hatte Angst, die Hochschulzugangsberechtigung nicht zu schaffen. Schließlich hing viel davon ab. Der Sekt hat mich beflügelt, auch später. Vor allen wichtigen Referaten, Präsentationen, Prüfungen trank ich zwei, drei Gläser. Dann ging’s mir blendend.

„Mein Diplom habe ich mit Sekt und Auszeichnungen bestanden.“ Dieser Spruch wurde zur absoluten Lachnummer bei vielen geselligen und geschäftlichen Anlässen. Ich lebte wie im Rausch. Zwei Gläser Sekt zum Frühstück und ich plante, richtete ein, verkaufte den ganzen Tag über wie ein Weltmeister.

Immer häufiger brauchte ich aber auch einen Schluck zwischendurch. Hinter meinen Rücken hörte ich die Leute im Ort dann tuscheln: Die Frau Schrage trinkt zwar ein bisschen viel. Aber die ist ja so nett, so gesellig und so begabt. Was die aus der ollen Tischlerbude vom Heinrich gemacht hat. Ohne die wäre auch der Rainer ganz schön aufgeschmissen.

Für Marias Ohren war das Explosivstoff. Eine Schande sei ich, für den Betrieb und für die ganze Familie. Streit mit Heinrich und Ehekrach mit Rainer waren die Folge. Die Anlässe häuften sich. Schulprobleme mit Sandra kamen hinzu und Marias ständige Einmischungen in meine Erziehungsmethoden. Ich würde meine Tochter vernachlässigen.

Das meiste perlte ab, den Rest spülte ich mit Sekt herunter. Da war wirklich Mumm in den Flaschen! Glaubte ich jedenfalls.

Die weiteren Einzelheiten bis zum Absturz sind nicht so wichtig. Typischer Verlauf mit zitternden Händen, härteren Drinks, Magenbluten, Blasenentzündung, Kreislaufkollaps, abgebrochenen Therapien.

Rainer und ich entfremdeten uns immer mehr. Nur das Geschäft, die Arbeit hielt uns zusammen, die Ehe verkam zur GmbH. Wir verloren den Respekt voreinander; Sandra verlor ihn, als ich im September 93 in ihrer Gegenwart in dem vornehmsten Feinkostladen der Region umfiel und dabei die Kontrolle über meine Blase verlor.

„Mutti lag vollgepinkelt vor der Hummertheke von Hahnefeld!“ Ihre Stimme höre ich noch heute. Das war das Ende. Ich wollte nur weg, möglichst weit weg in eine Klinik, wo mich keiner kennt.

 

Montags war regelmäßig Gruppentreffen bei den Anonymen Alkoholikern. Am Wochenende stauten sich bei den meisten Teilnehmern irgendwelche Probleme auf. Hier konnten wir sie ohne Angst rauslassen, verarbeiten, neue Kraft tanken. Ich war reichlich aufgewühlt vom Sonntagnachmittag. Neben mir saß Elke, die schon viel von mir wusste. Als ich zu Ende erzählt hatte, nahm sie meine Hand und sagte mit ihrer warmen rauchigen Stimme: „Ist dir eigentlich klar, dass das deine erste große Prüfung ohne Alkohol war?“ Das half, das gab mir Mut, auch wenn das Ergebnis so niederschmetternd war. Ich nahm mir vor, noch einmal mit Rainer über meine Entwürfe zu sprechen, allein und in Ruhe.

Erst am Freitagabend fanden wir etwas Zeit füreinander. Die Handwerker waren früher gekommen. Sie hatten schon mit dem Ausschachten angefangen. Der Räumungsverkauf musste vorbereitet werden, Verhandlungen mit den Lieferanten, die Buchhaltung, Kundengespräche, der Computer für die Küchenplanung fiel aus: Ruckzuck waren die Tage dahin.

„Das sind sicher ‘ne Menge toller Ideen“, sagte Rainer und rührte übertrieben lange in der Kaffeetasse. Dann trank er mehrere Male und setzte die Tasse langsam wieder ab. „Sie kommen zu spät.“

„Wieso? Bis zum Jubiläum sind es noch gut zehn Monate.“

„Eben!“, erwiderte er. „Bei unserer Art von Geschäft fragt man zuerst, was man verkaufen und wie man es präsentieren will, und dann plant man die passenden Räume dafür. Nicht umgekehrt.“

Mir stockte der Atem. Die Lautstärke in seiner Stimme war neu.

„Als du in der Klinik warst“, fuhr er fort, „da war der richtige Zeitpunkt für sowas. Ich musste alles allein überlegen, kalkulieren, entscheiden und mich auch noch gegenüber Mutter durchsetzen. Zum ersten Mal habe ich ihr zeigen können, wozu ich fähig bin und wer der Chef ist. Und sie hat es kapiert. Zum ersten Mal fühlte ich mich richtig selbständig! Und dann kommst du an so einem Sonntagnachmittag daher und machst mit deinen Plänen allen klar, welch ein Stümper ich im Grunde bin.“

Er redete sich in Rage. Ich versuchte, ruhig zu bleiben, zuzuhören, Verständnis zu zeigen. So wie ich es in der Gruppe gelernt hatte. Aber ich spürte immer deutlicher die Mauer, die da zwischen uns in den letzten Jahren Stein für Stein entstanden war. Sie wurde noch dicker und noch höher. Es kam mir so vor, als würde Rainer zur Sicherheit noch die Scherben meiner Sektflaschen obendrauf kleben.

An diesem Abend verließ ich unser gemeinsames Schlafzimmer. Betten hatten wir ja genug. Früher wäre ich bei solchen Anlässen, mit ein paar Pikkolos bewaffnet, sogar in ein Schaufensterbett gekrochen. Ich nahm das Seniorenbett neben der Heizung. Es wurde eine traurige Nacht. Aber ich schaffte es. Ohne Alkohol.

In den nächsten Wochen richtete ich mir unser früheres Gästezimmer ein, mit fröhlichen Farben und einer gemütlichen Kuschelecke. Sandra fand es „richtig urig“ bei mir, aber sie blieb nie lange, kam höchstens mal wegen der Hausaufgaben in Mathe oder Englisch. „Davon hat die Oma keine Ahnung“, sagte sie. Der unausgesprochene Rest ihrer Sätze hat mir anschließend oft Tränen in die Augen gedrückt. Sandra wollte ich nicht auch noch verlieren. Sie war es doch, die mir die endgültige Trennung so schwer machte. Für uns beide sah ich noch immer eine kleine Chance.

Mit Elke traf ich mich in der nächsten Zeit häufiger. Sie war Friseuse und hatte sich gerade von ihrem Lebens- und Geschäftspartner getrennt - mit viel Schmerz und finanziellen Verlusten. Wir machten uns gegenseitig Mut und zählten die Tage, die wir nun schon als trockene Alkoholiker überstanden hatten. Ihre schlichte, liebevolle Art, ihre rauchige Stimme und ihre menschliche Wärme haben mir viel Kraft gegeben. Elke verdanke ich auch den Mut, wieder ganz von vorne anzufangen, eine neue Existenz aufzubauen. Vom Punkt null an, wie damals, als ich zu Hause ausgezogen bin.

 

Ich habe jetzt eine eigene Wohnung. Sandra hat mich schon besucht. Es sind nur 17 Kilometer mit dem Zug. Sie ist sogar schon über Nacht geblieben und hat von dem Firmenjubiläum erzählt. Viele hätten nach mir gefragt.

Rainer hat die Scheidung eingereicht. Er will klare Verhältnisse wegen des Geschäfts.

Eine neue Arbeitsstelle habe ich auch inzwischen. Es ist zwar nur in der Filiale einer großen Einrichtungskette - aber die Position ist ausbaufähig.

Gestern hatte ich selbst ein Jubiläum: 500 Tage trocken!